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"Wer seine antikommunistischen Vorbehalte über den Kampf gegen Faschismus, Rassismus und Antisemitismus stellt, der hat nicht begriffen, von wo der Wind weht". 

Mein Name ist Jan Specht, ich bin Stadtverordneter für unser Kommunalwahlbündnis AUF Gelsenkirchen. Anlass für diese Kundgebung ist die letzte Ratssitzung am 15. Juni, in der das „Lokale Handlungskonzept gegen Antisemitismus“ beschlossen wurde.

Diese Ratssitzung war mehrfach denkwürdig:

 Wurde ein Konzept beschlossen, mit dem Kritik an der israelischen Regierung unterdrückt und sanktioniert wird.

  1. Wurde ein Konzept beschlossen, welches Rechte und Faschisten gefährlich verharmlost.
  2. Wurde in der Ratsdebatte der Kampf gegen Antisemitismus für antikommunistische Hetze aus Reihen von AfD, CDU und einzelnen Grünen missbraucht. Eine Widerspiegelung der gefährlichen Rechtsentwicklung, die wir auf Bundesebene sehen.

JA, ich habe ich das Anliegen dieses Handlungskonzeptes begrüßt, und NEIN, ich habe ihm nicht zugestimmt. Denn auf den 24 Seiten gibt es – bei allen guten Ansätzen – unzumutbare wahrheitswidrige Passagen, die in übler Weise AUF Gelsenkirchen und die Partei Die Linke antikommunistisch angreifen und verleumden. Uns wird Antisemitismus unterstellt: Zitat: „In Teilen des linken politischen Spektrums (z. B. der Wählergruppe AUF Gelsenkirchen) würden offen israelfeindliche Positionen geteilt ...“.

Landet man jetzt schon in einem Handlungskonzept Antisemitismus, weil man die israelische Regierung kritisiert? Wenn ich mir den Angriff auf das palästinensische Flüchtlingslager Djenin letzte Woche ansehe, dann ist Kritik an Israel mehr als angebracht. UN-Generalsekretär Gutterrez hat die Besatzungsmacht Israel klar verurteilt: "Israels Luftschläge und Bodenoperationen in einem eng besiedelten Flüchtlingscamp stellen die schlimmste Gewalttätigkeit im Westjordanland seit vielen Jahren dar".

Dem Kreisverband der Partei Die Linke wird unterstellt: Zitat: "Auch in anderen politischen Zusammenhängen wird Antisemitismus vorwiegend als Problem der ‚Anderen‘ thematisiert und Kritik an antisemitischen Positionen in den eigenen Reihen als Diffamierungs- und Kriminalisierungskampagne denunziert“.

Was soll das heißen? Wenn man sich gegen haltlose Antisemitismusvorwürfe wehrt, ist das schon allein Grund, um mit wirklichen Antisemiten in eine Reihe gestellt zu werden? Das ist doch absurd.

Solche Verleumdungen müssen bekanntgemacht und zurückgewiesen werden! Unsere Zustimmung zum Handlungskonzept haben wir von der Streichung dieser Passage abhängig gemacht. Die Anträge von AUF, von Die Linke und WIN zur Verbesserung wurden allesamt abgelehnt.

Das Handlungskonzept ist nicht nur irgendein Stück Papier, sondern es wird mit dem Ratsbeschluss zur Grundlage künftigen städtischen Handelns gemacht. Denn, so heißt es im Handlungskonzept: „Keine Zusammenarbeit mit und Unterstützung von Akteuren, die sich nicht grundsätzlich gegen Antisemitismus (auf Grundlage einer konkreten Definition, s. o.) aussprechen“.

 Die im Handlungskonzept vorgeschlagene Definition ist aber völlig daneben. Sie wurde von der IHRA, der International Holocaust Remeberance Alliance herausgegeben – einem Zusammenschluss von Staaten vor allem aus der EU, aber auch den USA und aus Israel. In Frankreich erklärten 127 jüdische und israelische Akademiker: Die „unklare und ungenaue“ IHRA-Definition bringe „bewusst Kritik und Opposition gegen die politischen Maßnahmen des Staates Israel mit Antisemitismus in Verbindung“ und führe selber eine „ungerechtfertigte Doppelmoral zugunsten Israels und gegen die Palästinenser“ ein.

Das ist ein absolut undemokratischer Disziplinierungsversuch, der nicht bestehen bleiben darf! Auf solch einer Grundlage werden dann Räume oder finanzielle Zuschüsse verweigert. Wir sprechen uns grundsätzlich gegen Antisemitismus aus, aber nicht auf Grundlage einer Definition, die Kritik am Staat Israel unterdrückt.

Im Handlungskonzept wird außerdem eine Antisemitismus-Definition zur Grundlage gemacht, die den Faschismus objektiv verharmlost, so als sei der Faschismus nur eine von vielen Formen des Antisemitismus. Er ist aber die ideologische Quelle für das historische Verbrechen an jüdischen Menschen. Er ist die am meisten unterdrückerische Herrschaftsform des Imperialismus und beinhaltet immer Rassismus und Antisemitismus zur Spaltung der revolutionären und Arbeiterbewegung. Der Faschismus ist auch Ausgangspunkt für die allermeisten antisemitischen Straftaten heute. Von über 1600 Straftaten im Jahr 2022 wurden 80 Prozent von Rechten und Faschisten verübt. Nur vier wurden Linken zugeordnet. Das zeigt, wo in Wirklichkeit die Probleme liegen. Die AfD taucht in dem Handlungskonzept überhaupt nicht auf. Mag sein, dass sie sich da taktisch zurückhält, weil ihr Hass auf muslimische und arabische Menschen noch größer ist. Aber, sie ist eine Partei, die in Teilen faschistisch ist, den Hitler-Faschismus verharmlost.

Dieses Handlungskonzept ist unwissenschaftlich und die Fachstelle der Stadt und das beratende Institut für Stadtgeschichte haben hier völlig versagt.

In der Debatte im Stadtrat kam es - unter Beifall der AfD - zu üblen diffamierenden antikommunistischen Angriffen auf mich. Die Beiträge werden wir hier in Auszügen dokumentieren. Der Gipfel war, dass der Fraktionsvorsitzende der CDU, Herr Kurth, mich als „einen der größten Antidemokraten hier im Saal“ beschimpfte. Mit den Angriffen wurde eine rote Linie überschritten!

Wir kritisieren, dass der AfD mit der Politik der bürgerlichen Parteien der rote Teppich ausgerollt wird. Diejenigen, die uns - wie in der Ratsdebatte - mit Dreck bewerfen, sollten vor der eigenen Haustür kehren – allen voran die AfD. Nach Meinung des ehemaligen AfD-Vorsitzenden Gauland war ja der Holocaust nur „ein Fliegenschiss“ in der großartigen deutschen Geschichte… .

Presseberichte beleuchten, wie Union und FDP dazu beitragen, die Beziehungen zur AfD zu „normalisieren“. Erstmals stimmten im Juli sogar Abgeordnete der Unionsfraktion in einem Bundestagsausschuss für Anträge der AfD.

Gegen Hans-Georg Maaßen, CDU’ler und ehemals Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, wurde der Vorwurf laut, antisemitische Stereotype zu verbreiten.

Uns von AUF Gelsenkirchen will man in die Ecke des Antisemitismus rücken und mit Dreck bewerfen?! Solche haltlosen Diffamierungen sind der Gipfel.

Viele von Euch wissen, wie wir uns mit Monika Gärtner-Engel und vielen Mitstreitern von AUF über Jahre engagiert haben - gegen antisemitische Parolen und Plakate der Rechten, gegen türkische Faschisten. Wir kritisieren auch Antisemitismus, wo er auftritt - auch unter arabischstämmigen Menschen. Wir verurteilen Hamas und Dschihad und die Unterdrückung und Kriegstreiberei des faschistischen Iran.

Viele Gedenkveranstaltungen zum 9. November, zum Gedenken an die ermordeten jüdischen Zwangsarbeiterinnen oder an Rudolf Bertram, haben wir initiiert und durchgeführt, uns an vielen weiteren beteiligt. AUF verteidigt das Existenzrecht Israels. Aber völkerrechtswidrige Einsätze militärischer Gewalt und Besetzungen durch den Staat Israel in den Palästinensergebieten müssen laut und öffentlich kritisiert werden dürfen! Ebenso die Beteiligung von Faschisten an der aktuellen israelischen Regierung – das kritisieren sehr viele jüdische und nichtjüdische Israelis auch.

Es gibt aktuell in Israel eine millionenfache Demokratiebewegung gegen die faschistoide Regierung. Ein ganzer Teil dieser Bewegung richtet sich unter dem Motto: „Palestinian Lives Matter“ auch gegen die ultrareaktionäre, faschistoide Netanjahu-Regierung mit ihrem offen faschistischen „Sicherheitsminister“ Gvir. Die Empörung über die faschistischen Überfälle auf palästinensische Familien in den besetzten Gebieten ist groß. Es stünde den etablierten Parteien in Gelsenkirchen gut zu Gesicht, sich ebenso deutlich gegen die menschenfeindliche und völkerrechtswidrige Siedlungspolitik, gegen Mord und Totschlag zu wenden – anstatt die Kritik daran zu diffamieren und in eine antisemitische Ecke zu stellen. Ich komme zu dem Schluss: Wer seine antikommunistischen Vorbehalte über den Kampf gegen Faschismus, Rassismus und Antisemitismus stellt, der hat nicht begriffen, von wo der Wind weht.

Ich frage mich auch, wem das Thema wohl zu heiß war: Über die Ratssitzung und das Handlungskonzept hat die WAZ bis heute nicht berichtet – und auch die Kundgebung nicht angekündigt. Umso mehr freue ich mich, dass wir heute über diese vielschichtige Situation und Entwicklung streitbar, solidarisch, mit klarer Kante und differenziert diskutieren!