Diesen Tag hat eine ver.di Streikdelegation in Gelsenkirchen genutzt, um beim Ausschuss für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Gelsenkirchen auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Im Vorfeld hatte ver.di Rederecht beantragt. Das wurde abgelehnt wegen Corona. Im Ausschuss beantragte Celina Jacobs von AUF Gelsenkirchen als Ausschussmitglied Rederecht für die Delegation. Das wurde dann vom Ausschussvorsitzenden mit der Begründung abgelehnt, dass die Tarifverhandlungen ja noch laufen. In der Abstimmung zum Rederecht wurde der Antrag mit einer klaren Mehrheit abgeschmettert, mit einer Enthaltung und einer Stimme dafür von Celina Jacobs. Als sie im Rahmen der Tagesordnung zu einem geplanten Neubau einer Kita den vorbereiteten Redebeitrag der ver.di Streikdelegation halten wollte, wurde sie vom Ausschussvorsitzenden unterbrochen und zurecht gewiesen. Sie würde ihr Rederecht missbrauchen und nicht zur Tagesordnung sprechen. Der Hammer war dann noch seine Aussage "Es sind Banalitäten, die sie hier vortragen" - das ist ein Schlag ins Gesicht der betroffenen Beschäftigten.

So wurde in der Rede gerade der Zusammenhang zu dem Neubau einer fünfgruppigen Kita hergestellt, wo berechtigt die Frage gestellt wurde, woher sollen denn die Fachkräfte kommen:

"Bereits jetzt sind 10% der Stellen bei Gekita nicht besetzt! Bundesweit fehlen 173.000 Fachkräfte in den Kitas!! Wir haben hohe Krankenstände, die sich mit der Corona-Pandemie noch verstärkt haben." - hier wurde Celina Jacobs dann vom Ausschussvorsitzenden unterbrochen.

Bereits vor der Sitzung verteilte die Streikdelegation an die Ausschussmitglieder eine Zusammenstellung der Zahlen und Fakten zur Situation in Gelsenkirchen.

Zu diesen Zahlen und Fakten gehört:

* Allein seit Januar 2022 haben sich in NRW 25.000 Fachkräfte von 144.000 Beschäftigten mit Corona infiziert. Kitas sind der einzige Beschäftigungsort, in dem keine Mindestabstand gewahrt werden kann und die Kinder keine Masken tragen!"

* Immer wieder werden Kitagruppen mit 20 Kindern im Alter von 2-6 Jahren von nur einer Fachkraft betreut – Aufsichtspflicht und Bildungsauftrag sehen anders aus!

* Allein in der Bezirksarbeit im Jugendamt bestehen aktuell 20 Vakanzen. Es herrscht seit Jahrzehnten kein auskömmlicher Personalschlüssel!

* In der Ambulanten niederschwelligen Erziehungshilfe sind von 12 Stellen insgesamt 6,5 Stellen nicht besetzt!!!

* In der Familienförderung lag das Netzwerk „Frühe Hilfen“ ein halbes Jahr brach, weil die Stellen unbesetzt waren. Das sind nur einige Bespiele.

Die Beschäftigten sagen dazu: Gute Arbeitsbedingungen sehen anders aus!

* Am Beispiel der Bezirkssozialarbeit: Hier wird das zulässige Maß von 40 Überstunden dauerhaft überschritten mit durchschnittlich bis zu 70 Überstunden, die kaum in der Freizeit abgegolten werden können. Also in diesem Jahr sind bis jetzt bereits 5 Überlastungsanzeigen gestellt worden!

* In den ersten 2 Jahren werden Berufseinsteiger*innnen regelrecht verheizt und flüchten in andere Berufsfelder!

* Statt 38 Fälle ist hier in Gelsenkirchen die Regel 70 bis in der Spitze 90 Fälle pro Mitarbeiter*in zu bearbeiten. Die Fallzahlen haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Eine Fallbemessungsobergrenze muss endlich festgelegt werden!

* Familien warten 3 – 4 Monate und länger, bis eine Hilfeeinsatz erfolgen kann. Hinzu kommt der Druck auf die Beschäftigten durch die Gefahr, das Wohl eines Kindes zu übersehen und die Befürchtung im Extremfall vor arbeits- und strafrechtlichen Konsequenzen und das Wohl eines Kinder gefährdet zu haben.

* 95% der Erzieherinnen bei Gekita sind in der Entgeltgruppe 8a, das bedeutet nach Jahren in Stufe 3 3300,62 € brutto, damit liegen Gehälter für eine vergleichbare Tätigkeit in technischen Berufen zwischen 130 und 270 € höher als die einer Erzieher*in. Und Kinderpfleger*innen, die täglich qualifizierte pädagogische Arbeit machen, sind mal gerade eine Stufe besser bezahlt als Reinigungskräfte!

* Nur ein kleiner Teil der Auszubildenden bekommt inzwischen die Ausbildung bezahlt, die rein schulische Ausbildung wird weder bezahlt, noch auf die Rente angerechnet.

Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus den Zahlen und Fakten aus Gelsenkirchen!

Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) als Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber ist Verhandlungsführerin in dieser Auseinandersetzung – sie kennt diese Fakten! Da ist es auch nicht verwunderlich, wenn der Ausschussvorsitzende Ralf Lehmann (SPD) alles dran setzt, dass darüber nicht berichet werden soll.

Wir, Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst haben die Nase voll – die kommunalen Arbeitgeber, die Landes- und Bundesregierung haben am lautesten in der Coronapandemie geklatscht und gerufen, dass wir systemrelevant sind. Klatschen allein reicht uns nicht!

Nach unserem tollen Streikauftakt am internationalen Frauentag kam bereits der Vorwurf, wie wir denn angesichts des Krieges in der Ukraine streiken können – dazu sagen wir:

Wir sind solidarisch mit der ukrainischen Bevölkerung! Und wir werden auch die traumatisierten Kinder aus der Ukraine in den Kitas auffangen – ohne Dolmetscher, ohne Konzept und ohne zusätzliches Fachpersonal - damit haben wir jahrzehnte lange Erfahrung.

Und wenn jetzt das Argument kommt, wir streiken auf dem Rücken der Kinder – sagen wir: Nein – wir streiken für die Kinder, für die Jugend, für eine Perspektive!

Ja - wir streiken, weil wir für all diese Krisen nicht verantwortlich sind und weil wir Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst am Limit sind.

Ja – wir streiken für mehr Aufwertung, bessere Arbeitsbedingungen, eine bessere Bezahlung und mehr Fachkräfte in den sozialen Berufen!

Die nächste Verhandlungsrunde ist am 21. und 22.3.22 - da werden noch dicke Bretter bohren müssen und wir brauchen Solidarität und Unterstützung!

Und wir müssen in dieser Auseinandersetzung darüber nachdenken, dass das Thema  des diesjährigen Tag der sozialen Arbeit unter anderen heißt "niemanden zurücklassen". Das ist im Kapitalismus eine Illusion. Daher müssen wir uns auch auseinandersetzen, wer die Verursacher all dieser Krisen sind und wir müssen über Perspektiven reden, wie soziale Arbeit aussehen kann und wie eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, wo der Mensch im Mittelpunkt steht, aussehen kann!