Weit über vier Stunden dauerte die Ratssitzung am 30.3.2017 mit 12 TOPs und vielen Unterpunkten. Darunter waren zumindest einige brisantere Themen: eine Resolution zur Freilassung von Deniz Yücel aus der Untersuchungshaft, die weitere Bäderdebatte, die undemokratische Ausgrenzung von WIN-Vertretern aus der Ratsherrenfußballmannschaft ... Was diskutiert wird und was nicht – die Tagesordnungsdebatte allein sorgte schon Stoff, weil so unliebsame Themen von vornherein rausgehalten werden sollen, allen voran von der SPD. Die Landtagswahl wirft ihre Schatten voraus. Auf der Besuchertribünge verfolgten gerade mal 20 Besucher die Debatten, davon zwei Vertreter von AUF. Es wäre höchst sinnvoll, die Ratssitzungen online zu stellen und allen zugänglich zu machen – alle Vorschläge dazu wurden bisher blockiert.

Bäderdebatte – mal wieder abgewürgt von der SPD-Fraktion

Einen Bericht über die zeitliche Umsetzung des Ratsbeschlusses hatten CDU und Grüne beantragt. Heißes Eisen ist dabei auch der Ratsbürgerentscheid zum Bäderkonzept, und seitens der SPD offensichtlich, wie man ihn aus dem Wahlkampf heraushält. Der begründete Vorschlag rief Dr. Pruin/SPD auf den Plan, er plädierte für die Absetzung. Als Vertreter der größten Fraktion war für ihn der Ausgang schon klar „das wird nicht auf die Tagesordnung kommen“ - mit dem fadenscheinigen Argument, Gründlichkeit müsse vor Schnelligkeit gehen. Das lässt in punkto Demokratieverständnis tief blicken. Wesentliche Kritik an der Verhinderung der offenen Diskussion kam von AUF, Grünen, CDU, WIN. Herr Hansen pflichtete wie so oft der SPD bei. Unverständlich ist für AUF, dass Martin Gatzemeier für die Linken ebenfalls der Absetzung des wichtigen TOPs zustimmte, weil im Hauptausschuss schon eine erste Einschätzung gegeben worden sei.

Monika stimmte ausdrücklich für die Diskussion und Verbleib auf der Tagesordnung. „Ich sehe hier eine Verzögerungstaktik und ein durchsichtiges politisches Manöver. Erst drängte die SPD 2016 auf eine schnelle politische Entscheidung, schwenkte im Dezember in letzter Sekunde um und spielt jetzt auf Zeit. Die einzige Möglichkeit, in dieser wichtigen Sache weiter zu kommen, ist HIER und HEUTE darüber zu reden. An die SPD – wenn Sie mit aller Macht den Ratsbürgerentscheid verhindern wollen sei daran erinnert, dass es ja auch die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens gibt, viele die im Rat sitzen, kennen sich ja damit sehr gut aus. Sie sollten die Leute nicht unterschätzen!“ Trotz vieler weiterer Kritiken von Herrn Wüllcheidt/Grüne und Frau Totzeck/CDU, dass der einstimmig gefassten Ratsbeschluss nicht umgesetzt worden ist, wurde mit den Stimmen der SPD der TOP abgesetzt.

Keine Freundschaft im Wettkampf - Ratsherrenfußball mit unfairen Freunden

Herr Akyol/WIN hatte allen Grund, die Debatte zu fordern. Denn die WIN-Vertreter für diese Mannschaft waren brüskiert und rausgekickt worden aus der „Ratsherrenfußballmannschaft“. Seine Bewerbung dafür wurde aus unerfindlichen Gründen – oder besser: durchsichtigen persönlich-politischen Motiven nicht akzeptiert, Zeitfristen vorgeschoben. Dr. Haertel und Herrn Hansen (letzterer ist Organisator dieser Mannschaft) wollten sich der Debatte nicht stellen. Im Rat wurden im letzten Jahr immerhin 10.000 Euro für diese Mannschaft bewilligt. Monika bekräftigte: „Eigentlich ist das eine Kindergartendebatte! Aber es wäre eine Beleidigung für Kinder, würde man dieses Vorgehen so bezeichnen. Ich finde es unsäglich, wie gegen Hr. Akyol vorgegangen wird, der neben anderen hier die türkisch-stämmige Bevölkerung repräsentiert, wenn diese Mannschaft sich aus Ratsherren zusammen setzt, gehört er dazu! An die SPD habe ich die vehemente Kritik, wie zugespitzt, diskriminierend, ja rassistisch argumentiert und vorgegangen wird, das ist des Rates völlig unwürdig!“

Einzig die SPD stimmte am Schluss für die Absetzung, alle anderen dagegen.

Bedarfsplan für den Rettungsdienst und Brandschutz der Stadt

Herr Axinger, Leiter der Feuerwehr berichtete über die gestiegene Zahl der Einsätze, über die Fertigstellung der neuen Wache in Hessler im Sommer. Eine schwierige Frage im Rettungsdienst ist der Auftrag an Rettungsdienstunternehmen seitens der Stadt, die zu vergeben sind und wofür das EU-Vergaberecht zum Tragen kommt. Eine komplizierte Angelegenheit, die angemessen weiter diskutiert werden muss. Diese Diskussion muss vertieft werden. Der Rat der Stadt wird sich im September noch einmal damit befassen, fristgerecht für eine rechtzeitige Vergabe zum Jahresende.

Eine Frage, die den Rettungsdienst betrifft, ist der Standort St. Josef als Notfallstandort, wozu Monika nachfragte und von der Stadtkämmerin Frau Welge erfuhr, dass die Stadtverwaltung das Problem im Blick hat und eine adäquate Alternative gesucht werden soll. Aus unserer Sicht von AUF: ein Argument mehr für den dauerhaften Erhalt des Krankenhauses in Horst!

Entschiedene Position von AUF gegen faschistische Erdogan-Regierung

Ein gutes Signal des Rates am 30. März 2017: Eine Resolution zur sofortigen Freilassung des Journalisten Deniz Yücel aus der Untersuchungshaft in der Türkei wurde verabschiedet! Die CDU hatte die Initiative ergriffen.

Am Schluss stimmte der Rat dem Resolutionsvorschlag der SPD als weitergehend zu. Dem ging eine lange Debatte voraus. Sie zeigte die Gemeinsamkeiten – aber auch sehr unterschiedlichen Ansätze und Kontroversen der Fraktionen und Ratsmitglieder.
Monika Gärtner-Engel, Stadtverordnete für AUF Gelsenkirchen, bezog Stellung, warum sie der SPD Resolution zustimmte und nicht dem Vorschlag der CDU. (Die Linke hatte ihren Entwurf schon zugunsten des SPD-Vorschlags zurückgezogen). Sie vertiefte die Diskussion mit kritische Anmerkungen und weiteren Aspekten:

„Zunächst will ich daran erinnern, dass im Juni 2016 auf Antrag der Fraktion Die Linke ein Antrag eingebracht wurde zur Solidarität mit verhafteten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Politikerinnen und Politikern in der Türkei. Was passierte damit? Das wurde damals von denen, die heute die Antragsteller sind, nämlich SPD und CDU, unisono abgelehnt. Herr Heinberg, Fraktionsvorsitzender der CDU äußerte damals sogar, er würde eine Gefahr für den sozialen Frieden in unserer Stadt sehen, wenn man versuchen würde, diese Konflikte nach Gelsenkirchen zu holen. Faktisch waren damals schon diese Konflikte in Gelsenkirchen, und sie sind in unserer Stadt, heute noch mehr als damals. Gut also, dass Sie dieses Thema aufgreifen, auch vor einem Jahr wäre die Befassung schon richtig gewesen. Ein Zeichen für mich, dass Ihrerseits damals die Sensibilität für diese Problematik eben nicht ausreichend entwickelt war. Ich begrüße es trotzdem uneingeschränkt, dass Sie heute diese Resolution eingebracht haben. Der Resolution Vorschlag der SPD ist nach meiner Meinung die weitergehende und umfassendere, sie behandelt weitergehend die Situation und Dimension der Verhaftungen, der politischen Unterdrückung u.v.m. Sie spricht sich auch gegen die unsäglichen Nazi-Vorwürfe aus. Meiner Meinung nach muss man offen und deutlich sagen, dass mit der Verhängung des Ausnahmezustandes die Regierung Erdogan ein faschistisches Regime in der Türkei errichtet hat. Es wurden sämtliche demokratischen Rechte und Freiheiten abgeschafft.

Meine kritische Anmerkung bezieht sich vor allem auf die fehlende Rolle der Bundesregierung und ihrer Politik gegenüber der Türkei in der Resolution. Namentlich Frau Merkel hat wesentlich Anteil an der Stabilisierung des türkischen Regimes. Das begann mit ihrem Besuch bei Erdogan, während des Wahlkampfs, wo sie sich mit ihm ablichten ließ und ihn unterstützte, nur sehr zurückhaltende vage kritische Anmerkungen machte. Das hatte seinen Grund, in dem unsäglichen „Flüchtlingsdeal“, den ich prinzipiell ablehne. Mit so einem Deal macht Deutschland abhängig von der Türkei, riesige Summen von Geldern, 6 Milliarden, nur mit dem Ziel, dass die Türkei Deutschland die Flüchtlinge „vom Hals hält“. Das ist menschenunwürdig gegenüber den Flüchtlingen.

Ich habe vehemente Kritik in diesem Zusammenhang an der Zusammenarbeit, die es mit dem türkischen Geheimdienst gibt, an den § 129a und b, die diese Zusammenarbeit zementieren: Ich verweise nur auf die Prozesse, die gerade in München stattfinden, und sich gegen kämpferische, demokratische und revolutionäre Kräfte richten. Diesen angeklagten Menschen wird in Deutschland keinerlei Straftat vorgeworfen. Ihre Organisationen stehen nicht einmal auf einer der berüchtigten „Terrorlisten“. Die Vorwürfe beziehen sich einzig und alleine darauf, dass der türkische Geheimdienst Informationen an die deutsche Justiz weitergegeben hat. Diese Zusammenarbeit, diese Zusammenhänge können nicht hingenommen und akzeptiert werden!

Aus der bisher sehr unrühmliche Rolle der Bundesregierung leitet sich für mich Forderung ab, diesen Flüchtlingsdeal aufzukündigen. Die Bundeskanzlerin reist inzwischen in andere afrikanische Länder, um mit weiteren reaktionären Regimes ähnliche Deals abzuschließen. Die Militärstützpunkte wie Incirlik, die Bundeswehrsoldaten dort sind abzulehnen, ebenso wie EU-Gelder an die Türkei im Zusammenhang mit der Vorbereitung der EU Mitgliedschaft.

Ich verurteile diese Doppelbödigkeit und Heuchelei, einerseits die Politik der Regierung Erdogan berechtigt zu kritisieren in Worten, aber mit Taten zur Stabilisierung dieses faschistischen Systems beizutragen.

Es ist richtig und nötig, weiter darüber zu diskutieren. Mein Vorschlag geht an die CDU, dem Resolutionsvorschlag der SPD als den weitergehenden zuzustimmen - auch im Sinne ihrer vorgetragenen Rede und Appells.“

Martin Gatzemeier/Linke bezog Position zur deutlich verschärften Situation in der Türkei wo eine Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gegeben ist. Er kritisierte, dass die Auseinandersetzung zwischen der PKK und Regierung viele Opfer gefordert hat und unterstützte die Forderung nach Freiheit für Deniz Yücel.

Taner Ünalgan/SPD fand in seiner emotionalen Rede klare Worte – zur gelebten Solidarität und dem Zusammenleben in Gelsenkirchen, und der Kritik an Erdogan, dessen Triebkraft die Angst vor einer Niederlage beim Referendum sei. Er forderte ein Ende der Spionage, der Verhaftungen und Verfolgungen selbst gewählter Volksvertreter. Unmissverständlich kritisierten die Grünen die Spaltungspolitik und geplante Verfassungsänderung Erdogans.

Unerwartet war dagegen die Anmerkungen von Herrn Akyol/WIN, der Fall Deniz Yücel sei für ihn problematisch, von hier aus schwer zu beurteilen, und Yücel sei zwei Mal vom Presserat gerügt worden, (was aber die Initiative des Bundesvorsitzenden der Republikaner, Rolf Schlierer zurückging!!). Aufschlussreich war aber vor allem seine Kritik an Yücel, weil er vertreten würde, die PKK sei keine Terrororganisation, wie das von der EU eingestuft worden sei. Hier verläuft eine deutliche Scheidelinie zu den Positionen, wie sie von AUF und auch Linken vertreten wurde! Am befremdlichsten war, dass er die demokratische Grundregel „im Zweifel für den Angeklagten“ in Frage stellte.

Monika gab dazu eine Pressemitteilung heraus