160822 MontagsdemoKnapp 140 Flüchtlinge überwiegend syrischer Herkunft folgten am Freitag 19.8. der Einladung von AUF in den Treff International an der Hauptstrasse, der aus allen Nähten platzte. Das Thema Wohnsitzauflage im neuen Integrationsgesetz betrifft in Gelsenkirchen 1890 Flüchtlinge – und vielfach ganz existentiell. Familien, die als anerkannte Flüchtlinge nach dem 1. Januar nach Gelsenkirchen kamen, müssen kurzfristig dorthin umziehen, wo sie erstmals registriert wurden.

Die meisten waren fassungslos. Nachdem sie endlich anerkannt waren, wieder ein Zuhause gefunden haben und etwas zur Ruhe kommen konnten. Jetzt werden alle Hilfen zum Lebensunterhalt vom Job-Center abgelehnt. Die Menschen sollen alles hinter sich lassen, zurück in die 'Registrierungsorte', müssen sich verschulden.

Wir wurden bestürmt von Menschen und überwältigt von deren Schicksalen. Eine schwangere Mutter mit Kindern, eine Familie mit behinderten Großeltern, die hier endlich eine Wohnung und Heimat gefunden hatten, Flüchtlinge die Angst hatten, in Ostdeutschland erneut von Nazis geschlagen zu werden oder getrennt zu werden von nahen Verwandten, oder zum Teil auch noch keine Gesundheitskarte haben. Niemand konnte verstehen, dass man rückwirkend den Menschen ihre Rechte auf Freizügigkeit aberkennt und damit einen eklatanten Vertrauensbruch begeht“, so die AUF-Ratsfrau Monika Gärtner-Engel, die die Veranstaltung moderierte.

160822 Montagsdemo 2In der Stellungnahme des Rechtsanwalts Roland Meister wurde deutlich, dass insbesondere die rückwirkende Regelung juristisch höchst fragwürdig und auch in Fachkreisen umstritten ist. Sie verstößt aus Sicht namhafter Fachleute gegen die Verfassung sowie gegen bedeutsame jüngste Gerichtsurteile zum Vertrauensschutz und EU-Recht. Nur in wenigen Fällen wird es umgehend dermaßen rigoros umgesetzt wie in Gelsenkirchen. Für viele ehrenamtliche Flüchtlingshelfer bedeutet diese Regelung einen Schlag ins Gesicht und könnte das Aus für die Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen in Gelsenkirchen bedeuten. AUF fragt weiterhin: „Hat sich die Stadt überhaupt Gedanken über die Folgen gemacht? Über die Vermieter, die nun keine Zahlungen bekommen? Über die Versorgung der Menschen, wenn sie lediglich mit einer Fahrkarte versorgt in die fremden oder mit negativen Erfahrungen besetzten Orte kommen? Über den immensen bürokratischen Aufwand beim Jobcenter, wenn die Welle von Widersprüchen anrollt? Über die Welle an Inkasso- oder sogar Strafverfahren für Flüchtlinge? Über die Abschiebungswelle, die die Stadt womöglich durchziehen muss, wenn die Leute nicht freiwillig gehen?“

Vor der sehr lebhaften Diskussion informierte AUF natürlich auch über die prekäre Finanzlage und die soziale Lage der Stadt, die Rat und Stadtspitze erheblich in die Bredouille bringen. Bis heute weigert sich die Bundesregierung, die Kosten für die Flüchtlingsunterbringung vollständig zu übernehmen und bringt arme Kommunen mit hoher Arbeitslosigkeit an den Rand des Ruins. Als kritikwürdig wurde allerdings auch die mangelnde Bereitschaft angesehen, sich in dieser Frage mit der Bundesregierung anzulegen – entgegen mehrfachen Anträgen von AUF.

Aus der Diskussion entstanden erste Konsequenzen, die allesamt einstimmig verabschiedet wurden:

160822 Montagsdemo 3Erstens wird die Montagsdemo am Montag, 22.8. um 17.30 Uhr einen Protestmarsch zum Job-Center durchführen. Dort bzw. unterwegs werden Stadt und Jobcenter die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Zweitens wird eine gegenseitige Hilfe beim Verfassen der Widersprüche unter besonderer Berücksichtigung der zahlreichen Härtefälle organisiert. Am Mittwoch 24.8. von 10:00 bis 13:00 wird es dazu besondere Beratung und Hilfestellung geben – auch in Anwesenheit eines Anwaltes – im Treff International, Hauptstr. 40. Alle Interessenten werden gebeten, möglichst Übersetzungshelfer mitzubringen.

Drittens werden aufgrund der schweren verfassungsrechtlichen Bedenken entsprechende juristische Schritte insbesondere gegen die rückwirkende Anwendung der Wohnsitzauflage eingeleitet.

Fazit: Alle Flüchtlinge sind mit guten Grund nach nach Gelsenkirchen gekommen: die Möglichkeit günstiger Wohnungen, gute Aufnahme. Deswegen lautet nach wie vor ihr Motto: „Danke Deutschland, danke Gelsenkirchen!“ Doch dieses hohe Vertrauen droht zu zerbrechen, wenn die Stadt GE nunmehr die negativen Folgen des Integrationsgesetzes rigoros anwendet, die positiven Optionen (Aussetzung der Vorrangigkeit) aber nicht zur Anwendung kommen. Die Interessen ebenso von „Alt-Gelsenkirchenern“ wie von Flüchtlingen müssen entschieden verfochten werden.